Interview mit Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hotelvereinigung ÖHV

Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hotelvereinigung, über den großen Fachkräftemangel im Tourismus. © ÖHV

Ein Gespräch über die Abschaffung des Arbeitskräfte-Kontingents, Work-Life-Balance, fehlende Unterstützung vom Bund und den Sinn des Ganzjahresbetriebs

Die ÖHV erwartet von der neuen Regierung verschiedene Maßnahmen mit Blick auf den Fachkräftemangel im Tourismus. Wie viele Stellen bleiben in den Hotelbetrieben unbesetzt bzw. woran kann man den Fachkräftemangel festmachen?

Walter Veit: Der Mitarbeiterbedarf unterliegt in Österreich stark nachfragebedingten Zyklen: In der Hochsaison müssen deutlich mehr Stellen besetzt werden als dazwischen. Im Februar lag die Zahl der offenen Stellen in Tourismus, Gastgewerbe und Freizeitwirtschaft laut Stellenmonitor des Wirtschaftsbundes bei 12.218. Das betrifft überwiegend Fachkräfte, aber bei weitem nicht nur. Dass so viele offene Stellen nicht besetzt werden können bei 430.000 Arbeitslosen zeigt: Da muss etwas geschehen! Und es liegt nicht, wie immer wieder behauptet, an den Arbeitszeiten oder der Bezahlung. Denn im Vergleich dazu ist die Zahl der offenen Stellen im Bereich Büro, Marketing, Finanz, Recht und Sicherheit mit 27.375 unbesetzten Positionen mehr als doppelt so hoch.  Uns fehlen auch immer mehr Lehrkräfte. Nicht wegen der Bezahlung und der Arbeitszeiten, sondern eben weil die Bevölkerung überaltert, wir die natürlichen Abgänge nicht ersetzen können und weil die Vorstellung von Arbeit eine enorme Schieflage bekommen hat – Stichwort Work-Life-Balance.

Wird genug getan, um in Österreich Nachwuchskräfte zu finden?

Offensichtlich nicht! Sonst gäbe es die Lücke nicht. Wir haben eine relativ hohe Sockelarbeitslosigkeit und dazu auch eine zunehmende Zahl an Menschen, die Teilzeit arbeiten. Das führt vor allem in serviceintensiven Bereichen zu Engpässen, die nur schwer kompensiert werden können. Dass der höchste Mitarbeiterbedarf in ländlichen Regionen besteht, die weniger dicht besiedelt sind, erschwert die Lage: Um offene Stellen besetzen zu können, müssen Bewerber aus weiter entfernten Regionen angesprochen werden – oft in Drittstaaten. Dazu kommt – und das ist das größte Hindernis – dass der Staat hier mit künstlichen Obergrenzen arbeitet, den sogenannten Saisonier- oder Drittstaatenkontingenten. Damit werden Arbeitswillige am Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt gehindert. Dabei würde der Tourismus – als letzte Branche mit hoher Nachfrage in der schwersten und längsten Wirtschaftskrise der Zweiten Republik – für mehr Wertschöpfung und auch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sorgen: Genau das, was das Land jetzt braucht. Da muss der Bund umdenken. Dafür ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt!

Die Kontingente für Saisoniers sollen steigen, aber steigen sie ausreichend? Welche Zahl würde Ihnen vorschweben und warum?

Die Erhöhung von 4.295 auf 5.500 ist ein richtiger Schritt. Aber ein Plus im dreistelligen Bereich kann eine Lücke im fünfstelligen Bereich natürlich nicht füllen. Natürlich müsste das Kontingent so hoch sein wie der Mitarbeiterbedarf. Was zur Sinnfrage führt: Wenn ich ein Kontingent in Höhe der offenen Stellen bräuchte, warum versteife ich mich dann auf ein Kontingent? Wir haben bei der Besetzung von Stellen durch Drittstaatenangehörige ohnehin eine Bedarfsprüfung: Menschen aus dem Inland bzw. EU-Inland haben immer den Vorzug. In Wahrheit ist die Quote ein Werkzeug zur Verhinderung der Besetzung von offenen Stellen und damit von Wertschöpfung, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Der Staat schneidet nicht nur uns, sondern vor allem sich selbst ins eigene Fleisch. Die Quote gehört weg, offene Stellen müssen garantiert, rasch und ohne viel bürokratischen Aufwand besetzt werden können. Das muss das Ziel sein. Das ist die einzig sinnvolle Lösung. Als erste Maßnahme braucht es die Öffnung des Arbeitsmarkes für die EU-Beitrittskandidaten auf dem West-Balkan, so wie Deutschland es schon umgesetzt hat.

In welchem Rahmen hat die ÖHV Möglichkeiten, die Betriebe zu unterstützen, um eigenverantwortlich etwas dafür zu tun?

Die ÖHV nutzt jede Möglichkeit, um Mitglieder da zu unterstützen. Das reicht von Schulungen zu zeitgemäßer Führung für Abteilungsleiter, über einen HR-Schwerpunkt in unserer Unternehmer-Akademie über Arbeitsrecht-Seminare bis hin zu Programmen wie ÖHV-Friends, wo Mitarbeiter von ÖHV-Betrieben in anderen ÖHV-Betrieben zu besonders attraktiven Konditionen Urlaub machen können: Das kommt sehr gut an!

Würde das Problem fehlender Fachkräfte bei Ganzjahresbetrieb steigen? Oder wie wären die Auswirkungen?

Die Herausforderungen für ganzjährig geöffnete Betriebe – vor allem derer mit gleichmäßigerer Nachfrageverteilung über das Jahr – unterscheiden sich von denen der Saisonbetriebe. Ganzjahresarbeitsplätze sind für viele Beschäftige attraktiver. Aber bei weitem nicht für alle, da darf man sich nicht täuschen. Dafür lässt sich der starke saisonale Anstieg beim Mitarbeiterbedarf etwa in Skigebieten leichter durch Saisoniers glätten. Das funktioniert im Jahresbetrieb nicht. Dafür brauchen sie wieder Unterkünfte, das ist kostenintensiv und der Aufwand für die Anstellung von Kurzzeitbeschäftigten ist ein Vielfaches. Aber Saisonverlängerungen bis hin zur Umstellung auf einen Ganzjahresbetrieb wirken sich in der Regel positiv aus. Was sie brauchen, sind ein Angebot für die Gäste, um ausreichend Nachfrage zu entwickeln. Das ist da entscheidend. Um es aus der anderen Perspektive zu betrachten: Würden Sie im Oktober, November an die Adria fahren?

Welche zusätzlichen Herausforderungen haben Betriebe im ländlichen Raum, Fachkräfte zu finden?

Die sicher größten Herausforderungen sind die Angebotsentwicklung; damit auf dem Markt durchzudringen; ausreichend Mitarbeiter aus der Region oder in die Region zu bringen, sowie die Lösung des Bedarfs an Unterkünften und die damit zusammenhängenden Kostenfragen für Arbeitgeber oder auch Arbeitnehmer, die mit ihrer Familie sesshaft werden wollen und entsprechend leistbaren Wohnraum benötigen. Die Konkurrenz durch das Freizeitangebot in der Stadt lässt sich für Sportbegeisterte und Menschen, die lieber in der Natur sind, sehr gut lösen. Was freilich noch dazukommt, um junge Eltern im Betrieb zu halten, ist ein entsprechend ausgebautes Angebot an Kindergärten: Da ist noch viel Luft nach oben und das können nicht alle KMU selber lösen. Die Politik hat da Lösungen zugesagt und wird sie umsetzen müssen – wir werden das auch in Politik mit Bund und Ländern einfordern. Ohne wird es nicht gehen!

Zur Person: Walter Veit ist seit Januar 2022 Präsident der Österreichischen Hotelvereinigung und Chef des Landesverbands Salzburg. Er ist Geschäftsführer des Hotel Enzian in Obertauern.